Seifhennersdorf

Otto Moritz Kind 1892

In der „Geschichte von Seifhennersdorf“ heißt es:

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Vereine.

Die großen politiſen Ereigniſſe, wele die Einheit des deutſen Vaterlandes herbeiführten, braten au in unſerem Orte eine Einigkeit zu Stande, die demſelbem nur zur Ehre gereien kann. Die Vertreter der hervorragendſten und ſtärkſten Vereine nämli traten zuſammen und bildeten unter dem Namen „Vereinigte Corporationen“ einen Verband derſelben, der ſeitdem alle vaterländiſen Feſte und Feiern in die Hand nahm und dieſelben mit allen ihm irgend zu Gebote ſtehenden Mitteln mögliſt glänzend und einheitli geſtaltete. Zur Zeit gehören dieſem Verband neun Vereine an: die Süengeſellſaft, der Geſangverein Liederkranz, der Militär-, der Turn-, der Stenographen-, der Humboldt-, der Landwirthſaftlie Verein, die Freiwillige Feuerwehr und die Fabrikfeuerwehr Marx.

Die alten Akten der Süengeſellſaft ſind leider nit mehr vorhanden. So viel ſteht jedo feſt, daß die Geſue um Veranſtaltung von Seibenſießen in Seifhennersdorf ſi bis zum Jahre 1774 zurüerſtreen. Seit dem Jahre 1822 fanden von einer aus angeſeſſenen und verheiratheten Gemeindemitgliedern beſtehenden Geſellſaft jährli auf einem zum Kretſam gehörenden Plae an Kirweihfeſten na jedesmal vorher nageſuter Erlaubniß ein Seibenſießen in größter Eintrat unter ortsgeritlier Aufſit ſtatt. Im Jahre 1822 betheiligten ſi am Auszug 33 Mann in Fras. Die ſpäteren Auszüge fanden in langem Ro ſtatt, während die Bruſt der Süen mit Blumenſträußen, ähnli wie heute no im Harz, geſt war. Am Feſtzug 1825 nahmen 42 Mann theil. Am 14. December 1841 ſuten die Süenälteſten Joh. Gottlieb Kuntſe und Genoſſen beim Stadtrath na, daß ihrer Geſellſaft die Einführung von Uniformen geſtattet würde. Derſelbe ertheilte die Erlaubniß am 25. Januar 1842 zunäſt für die Jahre 1842, 1843 und 1844, und ſo fand am 12. Oktober 1842 der erſte Auszug in Uniform ſtatt. Am 25. April 1845 wurde auf Anſuen der Ortsgeriten genehmigt, daß dieſes Seibenſießen vom Jahre 1845 ab in der Pfingſtwoe auf fernere drei Jahre in der bisherigen Weiſe abgehalten werden könne. Ein im ſelben Jahre am 26. Auguſt eingereites Geſu um einen Jahrmarkt wurde abſlägig beſieden. Am 21. October 1848 war Feldmanöver der Süen und Communalgarde, wobei für 37 Thlr. 27 Ngr. Bier vertilgt wurde. Das 1858 für 382 Thlr. 8 Ngr. erbaute, 1879 mit einem Koſtenaufwande von 408 Mark 89 Pf. vergrößerte Sießhaus brannte 1883 ab (vergl. S. 101). 1884 baute man für 5 100 Mark ein neues. 1872 am 19. Mai feierte die Geſellſaft das 50 jährige Beſtehen und hielt zuglei Fahnenweihe. Am 16. Juni ſenkte Se. Maj. König Johann der Fahne einen ſilbernen Nagel und ein Fahnenband. Die Süengeſellſaft beſit zwei Stiftungen von je 600 Mark, 1885 von Gottlieb Stolle und 1886 von Wilhelm Stolle geſenkt. 1892, den 5. Juni, feierte man das 50 jährige Uniformierungsjubiläum.

Der Geſangverein Liederkranz wurde am erſten (nit zweiten) Weihnatsfeiertag 1853 gegründet. Son am 28. Februar näſten Jahres gab er unter ſeinem Dirigenten Cantor Jakob das erſte Concert im Hirſ. 1865, den 11. Juni, fand in unſerm Orte das erſte Sängerfeſt des Südlauſier Bundes, Sonntag na Pfingſten 1881 ein Sängertag deſſelben und den 8. Juli 1888 Sängertag des Oberlauſier Bundes ſtatt. Die Fahne des Vereins wurde am 2. September 1877 geweiht.

Der Militärverein entſtand im Jahre 1855, in welem er 58 Mitglieder zählte und Gottlieb Praſſe zum Vorſienden hatte (bis 1870, dann bis 1872 Friedr. Matthias, ſeitdem Fabrikant Ernſt Stolle). Die erſte Fahne wurde am 13. Oktober 1861 vor dem Gottesdienſt geweiht, eine zweite mit dem Spru: „Si’res Aug’, feſte Hand und das Herz dem Vaterland !“ am 10. Auguſt 1890. Dieſelben zieren u. a. Ehrengeſenke Sr. Maj. des deutſen Kaiſers und des Königs von Saſen. Weiter ſei aus der Vereinsgeſite angeführt: 1867 erſtes Seibenſießen auf dem Grundſtü von Gottlieb Franze. 1872 Uniformierung, graue Joppe, Hut mit Birkhahnfedern. 1874 Anſaffung von 12 Zündnadelgewehren zu Ehrenfeuern. 1881 Betheiligung in Stärke von 102 Mann bei der Kaiſerparade in Dresden. 1885 Bau des maſſiven Sießhauſes am Kretſam für 4000 Mark. 1890 Stiftung des Ordensſrankes (vergl. S. 56). Neue Uniformierung, dunkelblaue Joppe. 1892 Anſaffung von 12 Mauſergewehren zum Ehrenfeuer. — Stiftungen für Unterſtüungszwee beſit der Verein zwei, zu 100 Mark (Auguſt Hoffmann) und zu 50 Mark (Gotthelf Wilhelm). Gegenwärtige Mitgliederzahl 295.

Einen Einbli in die Verhältniſſe na den unruhigen Jahren 1848/49 gewährt die Geſite des erſten Turnvereins. Die erſten Spuren turneriſen Lebens zeigten ſi im Jahre 1851. Es turnten damals Bubinder Elßner, Ernſt Weiße, Ernſt Ohmann, Franz Reſſel und Auguſt Clemens im Gersdorfer Turnverein. In Auguſt Clemens’ Wohnung vollzog ſi dann Anfang 1852 die Gründung des hieſigen Vereins dur 11 gleigeſinnte Männer. Die dur freiwillige Beiträge zuſammengebraten Geräthe, beſtehend in Re und Barren, wurden erſt im Garten des Wendler’ſen Gaſthauſes (Nr. 44), ſpäter auf einem vom Bauergutsbeſier Miel (Nr. 437) für 8 Thlr. jährli erpateten Plae aufgeſtellt. Poſtverwalter Miel gewährte dem jungen Vereine ein Darlehen von 25 Thlr. Bald ſtieg die Mitgliederzahl auf 20. Die Turnerkleidung aus ungebleitem Großſönauer Drell mißfiel zwar den Ortsbewohnern, aber die Unterhaltungsabende des Vereins waren ſo zahlrei beſut, daß z. B. von einem derſelben an den abgebrannten Häusler Süe 20 Thlr. Reingewinn abgeführt werden konnten. Wahrſeinli auf zwei am 23. Januar 1853 geſtellte lebende Bilder hin: Der heilige Augenbli na der Völkerſlat bei Leipzig und : die Gräber der gefallenen Saſen bei Satrupp, mußten ſi die 22 Mitglieder im Kretſam einfinden, dort von 9 Uhr Vormittags bis Mittag 1 Uhr warten und die dur Unterſtadtſreiber Brauer, der mit zwei Gensdarmen erſienen war, ausgeſproene Auflöſung ihres Vereins vernehmen. Die Kaſſe, aus 14 Thalern, worunter ein falſer war, beſtehend und das ſonſtige Eigenthum wurde eingezogen. Aber kein Ortsbewohner war zu bewegen, die Turngeräthe herauszureißen und abzufahren, bis die Ortsgeriten ſi dieſer Mühe ſelbſt unterzogen. Die Geräthe wurdem im folgenden Jahre zurügegeben. Na dem Grunde der Auflöſung befragt, gab der Geritsherr zur Antwort, er habe keine Rede zu ſtehen, aber er habe 32 Ortſaften unter ſi und in keiner ſei ein Turnverein, alſo braue in Seifhennersdorf au keiner zu ſein. — Ein neuer Turnverein entſtand am 25. Mai 1861 dur 21 Mann. Die Tragung einer einheitlien Turnkleidung wurde zur Pflit gemat. Den 16. Juni 1861 erfolgte die Einweihung des erſten Turnplaes beim Gaſthof zur Weintraube. Neben dem Vereinsturnen wurde das Kinderturnen eifrig betrieben, bis dieſes 1887 für die oberſten Knabenklaſſen obligatoriſ ward. Zur Feier der Grundſteinlegung des Jahndenkmals in Berlin fand am 17. Auguſt au hier eine größere Feſtlikeit ſtatt, zu weler Julius Clemens die erſte Fahne fertigen ließ. Die zweite Fahne wurde am 10. Oktober 1864, die dritte am 14. Auguſt 1892 geweiht. Von 1864 an gehörte der Verein zum Oberlauſier Gau, gründete aber mit benabarten Orten April 1882 den Oberlauſier Gebirgsgau. 1867 führte man das Zöglingsturnen ein. 1872 wurde der vom Bauergutsbeſier Elßner (Nr. 532) für 400 Thlr. gekaufte Turnpla eingeweiht. Zahlreie Turner kamen in den Ort am 14. Juni 1868, wo das dritte Oberlauſier, und am 27. Juni 1886, wo das vierte Oberlauſier Gebirgsgauturnfeſt hier abgehalten wurde. Als näſtes Ziel hat ſi der Verein die Erbauung der dringend au für dei Sulkinder nöthigen Turnhalle geſtet. Der dur ein hoherziges Geſenk des Commerzienrathes H. R. Marx im Betrage von 2000 Mark auf 7950 Mark angewaſene Baufond bedarf aber no ſehr der Verſtärkung, ehe dieſes Ziel erreit werden kann. Der Verein umfaßt gegenwärtig 11 Ehren- und 283 zahlende Mitglieder, 17 Soldaten und 70 Zöglinge.

Der Gabelsberger Stenographenverein wurde am 9. Februar (dem Geburtstag Gabelsbergers) 1870 in’s Leben gerufen. Er begrüßte 1876 die Wanderverſammlung Oberlauſier Stenographen, den 14. Mai 1882 die erſte Wanderverſammlung und den 19. Mai 1887 die ſeſte Wanderverſammlung des Verbandes Gabelsberger Stenographenvereine der Oberlauſi. Am 23. November 1892 begann er ſeinen 23. Elementarcurſus. Die Vereinsbibliothek zählt 210 Bände.

Der Humboldtverein, Verein für Volksbildung u. ſ. w., entſtand dur 40 Perſonen am 4. December 1870 im Hauſe von A. Henke (Nr. 155), wobei Lehrer Seiler (1873 Lehrer Lorenz) zum Vorſienden gewählt wurde. Am 27. Juli 1871 tagte der Verein zum erſten Male im Hirſ. Während bis dahin alle Woen Zuſammenkünfte ſtattfanden, ſollte dies nun im Sommer aller 3, im Winter aller 2 Woen geſehen. Wanderverſammlungen der Gebirgs- und Humboldtvereine waren hier den 10. Mai 1874 und den 3. Juni 1888. Der Verein zählte 1871 — 66, 1875 — 105, 1880 — 219, 1888 — 303, 1892 — 393, 1893 — 400 Mitglieder. Neue werden nur dann aufgenommen, wenn dur Abgang Stellen frei werden. Anſaffungen, die zum größten Theil zuglei als Lehrmittel für die Sulen zu benüen ſind, hat der Verein für 4300 Mark gemat. Er beſit au manes ſönes Alterthumsſtü. Das Vermögen beträgt 2017 Mark.

Der Landwirthſaftlie Verein entſtand 1872. Seit 1883 beſteht in ihm au eine Viehverſierung auf Gegenſeitigkeit.

Ueber die Freiwillige Feuerwehr vergl. S. 138 und 139, über die Fabrikfeuerwehr Marx vergl. S. 140.

Im Jahre 1856 wurde ein „Jugendverein I“ gegründet, und zwar von 36 Mitgliedern. Derſelbe änderte 1880 ſeinen Namen in Jugendfortbildungsverein Concordia. Zu gleier Zeit wurde für die Mitglieder eine Krankenunterſtüungskaſſe begründet, die aber na Einführung des Krankenverſierungsgeſees in Wegfall kam. Dafür erritete man eine Mildthätigkeitsunterſtüungskaſſe, aus weler jährli zu mildthätigen Zween mindeſtens 50 Mark bewilligt werden. Seine Fahnenweihe hielt der Verein am 22. Auguſt 1886. Gegenwärtige Mitgliederzahl 150.

Außerdem beſtehen hier no Geſangverein Eintrat, Geflügel- und Kaninenzüterverein, Radfahrerverein, Radfahrerclub, mehrere Favereine (für Fleiſer, Färber), einige politiſe Vereine, ein Frauenverein mit gegenſeitiger und ein desgl. zur Armenunterſtüung, ſowie eine große Anzahl Clubs, Kaſinos u. dergl.


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