Stories und Schnurr'n
aus meiner und ander Leute Studentenzeit
Sprachprobleme
Ob es an der Hochschulreform lag oder weil die DDR Devisen brauchte – wir hatten eine größere Anzahl ausländischer Studenten im Jahrgang. Einen Algerier, zwei Jemeniten, einen Syrer und fünf Vietnamesen.
Während alle Ausländer sonst ein Jahr an der KMU Leipzig im Herder-Institut Deutschkenntnisse vermittelt bekamen, hatte Vietnam seine Auslandsstudenten ziemlich unvorbereitet nach Deutschland geschickt. Die Deutschkenntnisse unserer fünf Vietnamesen waren jedenfalls sehr dürftig und sie hatten arge Schwierigkeiten, dem neuen, fremden und teils komplizierten Stoff der Vorlesungen zu folgen.
Gegen Ende des 1. Studienjahres hatten wir unser Kartierungspraktikum Deckgebirge. Mehrere unserer Vietnamesen waren dafür für Thüringen, die Region um Jena, eingeteilt.
Unter Zuhilfenahme einer vergrößerten Kopie topografischer Karten bestand unsere Aufgabe darin, die im Gelände angetroffenen Gesteinsschichten nach stratigrafischen Kriterien einzutragen.
Blöd ist nur, wenn man dabei in unvertrautem Gelände die Karte verkehrt herum hält und auf diese Weise unversehens in Sperrgebiet gerät. So sahen sich zwei unserer Pechvögel plötzlich auf einem Truppenübungsplatz von russischen Soldaten mit Maschinenpistolen umzingelt. Große Aufregung beiderseits ! Die einen verstanden kein Russisch, die andern kein Vietnamesisch. Also landeten unsere Studenten in Haft.
Es dauerte ein, zwei Tage, bis es Dr. Steinich, dem Betreuer der Kartierer im Saalegebiet, gelang, das Missverständnis aufzuklären und die Arrestanten frei zu bekommen.
Sommer 1972
mathematisches Verständnis
Worin unsere Vietnamesen exzellent waren, war Mathe.

Eines der gefürchtetsten Fächer während des Grundstudiums war Mathematik. Das mag nicht unbedingt an mangelnden Vorkenntnissen der Studenten gelegen haben – viel lag dabei auch an der Art des Dozenten. Der Name Schleinitz ist vielen meiner Kommilitonen in übler Erinnerung.
Wir hatten unseren Studiengang mit mehr als 50 Leuten begonnen, doch nur 32 konnten ihn sauber beenden. Bei Mathe- oder Russisch-Prüfung durchzufallen konnte man nur einmal; verhaute man die 2. auch, war das Studium gelaufen.
Jockel ist für mich ein Beleg dafür, dass der Dozent maßgeblich Schuld am schlechten Abschneiden mancher in Mathe trug. Denn als Jockel die 2. Prüfung versaute und nachher zum Fachstudium Hydrologie nach Nordhausen wechselte, erwies er sich dort als einer der Besten in mathematischen Fächern.
Besagter Schleinitz war nun dabei eine komplexe Formel abzuleiten. Er schrieb mit Kreide die Aufgabe an die erste der vier Wandtafeln und begann Zeile auf Zeile seinen Gedankengang zu entwickeln.
Wir versuchten, dem zu folgen und schrieben so gut es ging mit. Die zweite Tafel wurde benötigt, die dritte. Als Schleinitz die vierte anfing, reichte es Son !
Er stand auf, ging zur Tafel, wischte alles außer der Einleitungszeile ab, fügte eine Zwischenzeile ein und darunter die Auflösung.
Minutenlange Stille – dann Schleinitz' lapidares „Ja, so geht's auch“.
Herbst 1972
Computer-Dozenten
Wie schon gesagt taten sich unsere Vietnamesen mit der deutschen Sprache recht schwer. Da bekamen sie unerwartet Hilfe vom „Computer“.

Aufnahme aus dem Inst. f. Math. u. Informatik, EMAU Greifswald
Wir hatten an der Sektion einen sog. Großrechner, einen polnischen „Odra-1013“. Unser Geophysik-Dozent Dr. Peschel hatte zusammen mit unserem EDV-Dezenten Dörbrand 1970 nicht nur dies gebrauchte Gerät installiert, sondern statt der ausschließlichen Lochbandeingabe einen ausgedienten Fernschreiber als Input-Device angeschlossen.
Wurde zu Beginn der „EDV-Zeit“ in Greifswald noch mit MOPS und MOST gearbeitet, lernten wir während des Studiums die Grundlagen von ALGOL.
Und damit programmierte z. B. unser Petrologie-Dozent Dr. Langbein Selbstlernkurse zu diversen Fachthemen; als Forschungsstudent habe ich an dieser Erweiterung mitgewirkt.
Besonders beliebt waren diese Lern- und Prüfungs-Programme bei unseren vietnamesischen Kommilitonen: im Gegensatz zu uns als Mitstudenten oder Dozenten und Assistenten hat ein Computer endlose Geduld. Wieder und wieder konnten sie nun die Aufgabenthemen durchgehen bis das Testergebnis sie befriedigte – dann trauten sie sich auch in die mündliche Prüfung.
um 1973/74
Prüfungs-Stress
Jeder hatte seine eigene Art, den unmittelbar vor Prüfungen aufkommenden Stress zu bewältigen. Manche spielten Fußball auf dem Flur unserer Wohnbaracke, andere schubsten sich mit dem Stubenbesen die Füße weg, manche saßen nur stumm rum …
Wohl besonders aufgeregt musste Häschen gewesen sein. Es war entweder die Lagerstättenkunde-Prüfung bei Prof. Störr oder in Petrologie bei (damals) Dr. Langbein: mitten in der Prüfungsbefragung schlief Häschen ein !
Anscheinend vor Prüfungsfurcht hatte sie zwecks Beruhigung mehrere Tabletten Valium eingeworfen. Das half auch – aber eben zu gut !
um 1972/73
Prüfungs-Level
Da ich an der Uni als Forschungsstudent der Petrologie blieb, wohnte ich im Wohnheim mit Studenten des nächstfolgenden Jahrganges zusammen. So erlebte ich hautnah z. B. Mäckys Vorbereitungen auf die Prüfung bei Dr. Langbein in jenem Fachgebiet. Er wusste ja, dass ich bei Langbein arbeitete und nutzte dies sinnvoll mit Rückfragen aus. Ich gewann so den Eindruck, dass er exzellent auf alle möglichen Themen und Fragestellungen vorbereitet sei.
Die Prüfung selbst wurde einzeln im Dienstzimmer von Dr. Langbein abgenommen, flankiert vom Assistenten W. Klisch und mir. In der Regel lief eine Prüfung bei ihm so ab, dass dem Prüfling zuvor „eine Klamotte“, also ein Handstück übergeben wurde, wofür dieser 5 min Zeit hatte, anschließend 15…20 min darüber zu referieren. Daraus leiteten sich gewöhnlich weitere Fragen ab.
Zu meiner Assistenzzeit war es nun üblich, das Frage-Level so zu stellen, dass in der ersten Runde der Delinquent „auf Note 3“ geprüft wurde. Je nach dem wie sich der Student nun schlug, wurden die Fragen der nächsten beiden Runden entsprechend schwieriger oder einfacher.
Zu meinem völligen Unverständnis landete Mäcky nach der ersten Runde quasi auf Note 4. Das wurde auch bei Runde 2 nicht besser. Ich signalisierte dem Prüfer, dass wir kurz unterbrechen sollten und schickte Mäcky nochmal vor die Tür. Nun erklärte ich Dr. Langbein wie ich Burkhards Vorbereitung gesehen hatte und dass dies überhaupt mit der eben gesehenen Leistung nicht übereinstimmte. „Hier stimmt 'was nicht !“ Die imaginäre Zwischennote lag zwischen 4 und 5, dabei hatte der doch alles drauf.
Dr. Langbein entschloss sich zu einem ungewöhnlichen Schritt: als Mäcky wieder im Raum war verpasste er ihm Fragen aus der schwierigsten Kategorie und siehe da – nun sprudelten die Antworten nur so aus Mäckys Mund. Geradeso als hätte es uns zuvor sagen wollen: „Was soll ich auf so leichte Fragen denn antworten ?“
Er bestand die Prüfung und nach der Einleitung leider nur mit Note 2. Aber es ist halt nicht jeder ein Prüfungsmensch …
um 1975/76