Toto

Urgroßvater wurde Toto genannt, weil er im Kriege 1914/1917 in den Schützengräben an der französischen Front verschüttet ward. Seitdem stotterte er ein wenig.
Endlich wieder in der Heimat, trank er gerne schon mal einen:
Do-do trink mer ähm no een !
Durst
Toto hatte oft Durst, meistens, fast immer. Und erst recht im Hochsommer. Aber als einfacher Gemeindearbeiter war er gewöhnlich knapp bei Kasse. Nun kostete ein Bier in den 20er Jahren nur ein paar Pfennige, aber mit einer Wette lässt sich doch viel einfacher der begehrte Gerstensaft erlangen.
Toto wettete also mit seinem Kumpanen:
Iich un no enner, mir zwee saufen ann ner Stunde a Hekto Bier !
Wie bitte ? Zwei Leute in einer Stunde 100 l Bier ? Unmöglich ! - Wetten doch ?!
Gesagt, getan. Für das nächste Wochenende wurde im Waldschlößl ein 100-l-Fass bestellt. Bezahlen sollte der Verlierer der Wette.
Beim sonntäglichen Frühschoppen war diesmal die Bude gerammelt voll. Der ganze Berg wollte sehen, wie die Wette ausgeht. Und wer war der andere, mit dem Toto das große Fass leeren wollte ?
Als der große Moment kam, wurde ein Waschzuber in die Gaststube getragen, unter das aufgebockte Fass gestellt und dieses angeschlagen. Als das Bier nun in den Zuber lief, wurde der Andere
reingelassen: ein ausgewachsener Mastbulle, der gut eine Woche hatte Dursten müssen.
Der Bulle stürmte auf die schäumende Flüssigkeit zu und begann gierig zu saufen. Toto meinte: Iich must miech urdnliech zuhaaln, doßch no a Bembl oabkrigte.
Alles lachte. Toto hatte die Wette gewonnen – und 50 RM waren damals viel Geld !
Das ging dann leider gleich wieder drauf, denn es dauerte nur Augenblicke, dann waren Fass und Zuber leer und der Bulle voll !
Er verdrehte nochmal kurz die Augen, dann begann er zu schwanken und lehnte sich mit fast einer Tonne Lebendgewicht an den alten Tresen, der kurzerhand nachgab und einfach zusammenkrachte.
Seither hat das Waldschlößchen einen neuen Biertresen …
Ende der 30er
Oswald
Es passierte zu jener Zeit, als auf der Zillestraße noch der KONSUM existierte.
Oswald war Maurer und sommers wie winters barfuß in Holzpantinen unterwegs. Meist um einen Baumstamm nach dem anderen aus dem Stadtwald zu holen – Ausästen !
Der starke Mann brachte fast täglich einen Stamm nach Hause zum Feuerholz machen. Er war halt sparsam …
Der KONSUM damals noch nicht auf Selbstbedienung umgestellt. Hinterm Tresen werkelten zwei, drei Verkäuferinnen und einmal gab es Rollmops, geliefert in großen Gurkengläsern
. Als der alte Herr endlich an der Reihe war, fragte er Woas kustn die Rullmöpse ?
Die Anwort mochte vielleicht geheißen haben 100 Gramm – 50 Pfennig, stellte ihn aber nicht zufrieden, denn nun wollte er wissen Und woas kust de Tunke ? – Antwort: Nischt !

Nu, do willch oak Tunke, war seine Entgegnung, wobei er ein großes leeres Glas der Verkäuferin reichte. – Der Laden musste lachten.
Ende der 50er
Bergrat Busse
Friedrich Gottlieb von Busse (* 1756; † 1835) war Mathematiker und Hochschullehrer und ab 1801 an der Bergakademie zu Freiberg tätig.
Südlich von Freiberg, an der Straße nach Brand, stehen auf dem Gelände der ehemaligen Grube „August Herzog“ drei Kreuze. Von dieser Grube erzählt man sich folgende Geschichte:
Zu einer Zeit, als ausländisches Silber den Abbau unrentabel machte, sank auch im Freiberger Revier das Interesse am Weiterbetrieb der Gruben. Folglich verfielen diese und mit den verschlechterten Erwerbsverhältnissen sank auch die Moral der Bergleute.
Eine der letzten noch fördernden Gruben war jene „August Herzog“, die der Bergrat Busse befuhr und in dessen Zechenbuch er nach der vorgefundenen Unordnung schrieb:
Ein Haspel, der nicht läuft,
eine Rösche, die nicht säuft,
ein Mädchen, das nicht stille hält,
gehören nicht auf diese Welt !
Mit Galgenhumor antworteten die Bergleute kurz danach:
Lieber Bergrat Busse,
ein bissel wackeln muss se
denn in diesen schweren Zeiten
muss ein jeder mitarbeiten.
um 1820
ein Zittauer Kellner
Großvater stammte aus Zittau und kannte sich bestens in der vielfältigen Gaststättenlandschaft aus. So erfuhr ich von Kuriositäten wie der Seegerschenke, einer urigen Stampe, deren Wänder voller Uhren – umgangssprachlich Seeger
– hängen, dem Klingel-Café, wo man sich einfach an einen Tisch setzte und einen Klingelknopf drückte woraufhin die Bedienung umgehend Kaffee brachte.
Nicht mehr kennen gelernt habe ich die Ponybar; wegen Fleischmangels zu Beginn der 50er Jahre wurden hier alle Gerichte aus Pferdefleisch hergestellt und Vater schwärmte von den riesigen, aber preiswerten Bockwürsten, die es da gab.
An sich ist Zittau berühmt für gute Restaurants. Aber es gab auch Zeiten, wo man folgendes erleben konnte:
Irgendwann in den 60ern war Großvater aus Dessau zu Besuch gekommen und wollte mit Sohn und Enkel seine alte Heimatstadt wiedersehen. Am Ende eines längeren Altstadtbummels wollte er mit uns noch in die berühmte Uhrensammlung vom Meister Horst Landrock, aber da war aus irgendeinem Grunde heute geschlossen. Inzwischen hungrig suchten wir an der sog. Uhreninsel (Amalienstr., Baderstr.) eine damalige Gaststätte auf und bestellten beim Kellner zwei Bier, eine Brause. Als das Gewünschte kam, entspann sich zwischen Großvater und gelangweiltem Kellner folgender Dialog:
Die Speisekarte bitte !
– Speisekarte brauchen wir nicht !
– Wieso ?
– Wir haben nur zwei Gerichte. Das eine ist Schnitzel für zwei Mark und soundso, das andere ein Wurstsalat für zwei Mark und soundso
Und dann kam der entscheidende Satz vom Kellner: Ich würd' Ihn' aber raten, nehm' 'se kein's von beiden, denn das Schnitzel ist zu klein für seinen Preis und der Wurstsalat is' nicht mehr ganz einwandfrei !
, drehte sich um und entschwand. Sprachlos tranken wir aus und gingen woanders hin …
Anfang der 60er
Uhrmacher Landrock

Zittaus Altstadtring wird von einer schön gestalteten Parkanlage auf dem einstigen Wallgraben gesäumt. Von der Stadtmauer sind kaum Reste vorhanden bis auf die sog. Fleischerbastei, in dessen Mauer man Kanonenkugeln findet, die angeblich noch vom Beschuss der Österreicher anno 1757 rühren.
Als 1902 in der Weinau eine große Industrie- und Gewerbeausstellung statt fand, konnten die Zittauer eine aus lauter Blumen gestaltete, funktionsfähige Uhr bestaunen. So ein Wunderwerk wünschten sich die Zittauer dauerhaft in ihrer Stadt und so baute ein Uhrmachermeister jene Blumenuhr, die nun südlich der Fleischerbastei die Parkanlage der Ringpromenade ziert. Der damals weithin bekannte Uhrmachermeister Landrock schlug in den 60er Jahren vor, diese Uhr mit einem Glockenspiel zu ergänzen und dank fleißiger Handwerker und zahlreicher Spenden erklangen bald 21 Glocken aus Meißner Porzellan.
Jede volle Stunde (bei frostfreiem Wetter) kann man nun das Glockenspiel genießen …
Prof. Wehrli
Hans Wehrli (* 1902; † 1978) war eigentlich Schweizer und seit 1954 an unserer Uni. Viele Jahre leitete er als Direktor das Geologisch-Paläontologische Institut und und war auch 5 Jahre Rektor der EMAU.
Bei seinen Studenten war er sehr beliebt. So erzählt man von ihm im Zusammenhang mit Prüfungen folgende Aussage in seinem Dialekt:
„Die Aufgabe des Priefenden ist ess, die Oasen des Wissens aufzuspieren. Und die Aufgabe des Prieflings ist es, diese Oasen gefälligst oanzuzeigen !“
um 1960
Während der Greifswalder Studententage trat u. a. Dietrich Mania auf, der eben nahe Bilzingsleben Schädelfragmente des Homo erectus gefunden hatte und nun an unserer Sektion einen Gastvortrag über die Fundstätte und neue anthropologische Erkenntnisse hielt.
Auf seine Bemerkung, dass man nicht wisse wie genau der Homo erectus aus der Menschheitsgeschichte verschwunden sei, entgegnete Prof. Wehrli mit Verweis auf die projezierte symbolische Milieu-Abbildung: „Iss doch ganz klar, warum der ausgestorbn iss, da sind doch nur Männchen zu erkennen …“
Herbst 1974
Stiefel
Persönlich habe ich ihn nicht mehr kennen gelernt, doch war er noch zu unserer Zeit eine „Stadt-Legende“.
Seinen Namen verdankte er seinem Durst und dem Vermögen, einen ganzen Bierstiefel in einem Zuge leeren zu können. An jenem Hause in der Altstadt, wo er während seines Studiums gewohnt hatte, prangte bis zu dessen Abriss eine Tafel, wie sie sonst nur Doktoren und Professoren gewidmet sind:
In Gedenken an H. Hubert 1952 –57
Caligula nominatus est
Sittim non amabat
…
Stiefel wurde er genannt
Sein Durst war unermesslich
Jene Tafel retteten wir vor dem Abriss des Gebäudes und als Dank dafür übersandte Stiefel uns 50 Mark für den Studentenkeller.
Ihm wurde zu seiner Studienzeit ein fieser Streich gespielt. Bei einer Wette um's Leertrinken von Bierflaschen verlor dieser seltsamerweise. Zu seiner Demütigung hatten ihm die Kommilitonen auch noch eine der Pullen mit Öffnung nach unten in die Zimmerdecke gedroschen.
Auf der Bettpritsche liegend konnte er nun tagelang seine Niederlage bewundern. – Bis ihm die Idee kam ! Alle Flaschen, die man ihn gereicht hatte waren präpariert !
Die Mitwettenden hatte zuvor geprüft, welche Flaschenhälse schmaler waren und diese ihm angedreht, während sie sich die etwas weiteren sicherten.
Manchmal entscheiden halt Millimeter …
um 1955