Milchkauf
„Gieh Miel huuln“, sagte Großmutter und drückte mir das Seidel in die Hand. Eigentlich war es gar kein Seidel, sondern nur eine halbhohe Milchkanne. Aber in den 50er Jahren waren Maße wie Seidel, Pfund, Schock oder Münzeinheiten wie Groschen noch in aller Munde – wenngleich mit letzterem längst der Neugroschen gemeint war.
Und da trabte ich los mit Kleingeld und Kanne, einfach die Hans-Sachs-Straße hinter. Ehe die Gasse der Hohen Straße beginnt, geht ein Fußweg an das Gehöft der Arnolds, damals noch H.-Sachs-Str. 1. Hermann Arnold war Milchhändler und an einem Fenster des Umgebindehäuses konnte man bei Gertrud oder deren Tochter frische Milch aus großen Kannen kaufen. Die wurde dann mit einem Seidel in die Kanne gefüllt und nach Hause gebracht. Hm, allerdings musste man unterwegs mal kosten, ob die Milch auch gut war ! Und das war sie – mit der Folge, dass man mit viel zu wenig Inhalt im Gefäß heimkehrte als verlangt.
„Its gite noamol. Aber hus bei Thom'ſe. Unn ſauf ne wiedr aols aus, hirte !“ lautete die Ermahnung. Ob der längere Weg als Strafe gedacht war oder nur dem Gerede bei Arnolds vorbeugen sollte, bleibt ungeklärt. Also wieder los getrabt: Straße hinter, dann zum Steilen Berg
vor und die schmale Bergstraße, vorbei an der Eichhorn-Wiese, entlang. Wo die Häuschen an die Gasse rücken macht der Weg einen Knick und man landet auf der Liechtensteinstraße.
Das markante Gebäude gegenüber war dereinst ein Gasthaus und hieß Zur Thomashöhe
. Als Gaststätte lernte ich es nicht mehr kennen, wenngleich Hr. Thomas mitunter in den alten Gastraum eilte, um Bier- oder Brauseflaschen zu holen. Denn die linke Hausflurseite führte in einen kleinen Laden, Typ Tante Emma
. Und hier gab es auch Milch – wieder mit Seidel aus der großen Kanne. Und manchmal auch ein Bongsl aus dem Tresenglas …
Was man als Fünfjähriger mit einer vollen Halbliter-Milchkanne auf 300 m Rückweg alles anstellen kann, bleibe dem Leser überlassen.
Die Bäer
Als noch richtig gebacken wurde, schmeckten Brot, Semmeln und Kuchen bei jedem Bäcker anders. Und so wurde ich wegen dem Einem zum Handke geschickt, wegen dem Anderen zum Neumann. Und manchmal musste es auch von weiter her sein: Lachmann, Brocksch, ?? oder notfalls aus dem KONSUM.
Bis zum Handke-Bäcker war der kürzeste Weg knapp 300 m zwischen Eiskeller-Fabrik und Kutscherhaus hindurch, von da über die Wiese an der Hecke lang zur Zillestraße. Vorbei am KONSUM gab es nun ein Gassel, dass einem flugs von der Zillestr. zur Hutung brachte. Solche Gassel – Kommunikationswege genannt – hatte der Ort früher sehr viele. Aber mit steigendem Wohlstand kamen die Zäune …
Das Gassel endete direkt vor dem Bäcker, der wegen seiner Brötchen gemocht wurde. Semmeln oder Doppelsemmeln wie man heute sagt waren knusprig, wohlriechend und nicht so luftgefüllt wie heutzutage. Außerdem hatte der Sohn, der später das Geschäft übernahm, eine Vorliebe für Wellensittiche und andere Volierenvögel. Da gab es als Kind immer 'was zu schauen …
Bei Neumann schmeckte der Kuchen besser und auch das Brot wurde meistens hier gekauft. Außerdem wurden in der Vorweihnachtszeit die Zutaten für die Christstollen hier abgegeben. Und wenn man dann dran gewesen war, wurden an die 20 Stollen in den Wäschekorb gepackt und mit dem Schlitten auf den Berg gezogen. Aber von Jahr zu Jahr wurde das weniger und bald gab es fertige
Stollen im Laden zu kaufen …
Der Weg dahin war einfach und auch nur 300 m lang: den Berg runter bis zur Eiche, am Depot vorbei. Das schiefergedeckte, letzte Haus auf der rechten Seite der Hohen Straße war Bäcker Neumann. Noch heute läuft mir das Wasser im Munde zusammen, denke ich an Mohnkuchen oder den geliebten Flecklkuchn
, wo von allem etwas drauf war …
Heimzus sollte man als Knabe nicht zu lange am Feuerlöschteich spielen, war jener doch lange Zeit uneingezäunt und gar mancher schon hineingefallen. Als in den 70ern der Zaun stand, verlor ein kleiner Junge aus dem Jakobiweg da seine Gesundheit – die Eltern hatten nicht aufgepasst …
Die Fleier
Da es gewöhnlich nicht alles Gewünschte bei jedem Fleischer gab, bedeutete Wurst einkaufen meist die ganze Runde laufen …
Zuerst den Berg runter zum Jakobiweg. Da gab es einen Nachfahren vom Biebrach-Fleischer. Treppchen hoch – schon stand man im gekachelten Verkaufsraum. Meist fehlte aber etwas von dem, was auf dem Zettel stand. Also den Jakobiweg hinter und wo die Raabestraße abzweigt lag damals wieder ein Gassel hoch zur Thomashöhe
. Vorbei an hohen Büschen stapfte ich mit meinem Beutel hoch zu den Eschen und Kastanien an der Liechtensteinstr. Das Gassel mündete beim Eichhorn-Fleischer; der hatte meist alles Übrige, wenngleich Großmutter meinte: „Smet wuandr beer, abr de Wurrt is gu“ !
Als der Biebrach zumachte, musste ich an der Druckerei vorbei an die Hauptstraße gehen. Da hatte in den 60ern ein neuer Fleischer aufgemacht …
Übrigens gab es auf dem Berge nach der Wende wieder eine Zeit lang einen Fleischverkauf: beim Bismarck-Stübl
. Holger Hölzel war schon immer geschäftstüchtig und hatte mit Gaststube, Fleisch- und Lebensmittelverkauf sowie Pension eine lokale Marktlücke geschlossen.
Lebensmielläden
Wenn die Fleischerrunde gedreht wurde, reichte es meist, wenn ich über den Jakobiweg lief, denn bevor das große Gartengrundstück beginnt gab es da einen winzigen Laden: Lewandowski. Und notfalls – wenn nicht überhaupt – gab es alles Gewünschte oben auf der Thomashöhe.
Und was es da nicht gab, wurde halt aus dem KONSUM geholt – im Laufe der Jahre und im Zuge des Niedergangs des kleinen Einzelhandels immer mehr …
Das meiste brachten die Eltern oder Großmutter jedoch selbst mit, wenn sie von der Arbeit kamen. Man kaufte ein in der Hille-HO (August-Bebel-Str., gegenüber vom Gummierwerk) oder auf der Martin-Luther-Str.
Die alten Leute auf dem Berge werden sich gefreut haben, als Hölzel nach der Wende noch einen Tante-Emma-Laden
einrichtete, der lange Jahre von Uli Krätzer betrieben wurde.
Getränke
Als ich klein war, durfte man als Kind noch Bier für die Eltern holen. Und bei der Gelegenheit natürlich auch Brause, Selters oder Malzbier – später Fips –für mich selber. Und auch da gab es eine klare Reihenfolge, welche Geschäfte angelaufen werden sollten. Zuerst die ehem. Tankstelle bei Olbrig, da konnte man Flaschenbier und Alkoholfreies kaufen, wenn man klingelte.
Gerade im Sommer mangelte es oft an Alkoholfreiem. Da versuchte ich es als Nächstes bei Thomas. Wenn das nichts half, blieb als letzter Versuch der KONSUM. Am Wochenende war noch die Möglichkeit, Flaschenbier in der Erholung
zu erfragen.
Um die Wendezeit herum konnte man auch zu Neumann gehen. Die Watawa
, Neumanns Frau, gab – wenn auch ungern – ein paar Flaschen ab. Und nach der Wende lieferte Uli Krätzer sogar nach Hause.
Am besten schmeckten die Getränke jedoch während der Zeit, wo Neugersdorfs berühmtes Schissn
stattfand – der Jakobimarkt ! Heute noch ! Weil man da alte Freunde trifft … „Kimmt ees mit uffs Sin ?“