Der Ichthyosaurus ist das berühmteste Tier der Vorwelt. Wie er aber wirklich aussah, das haben wir erst in neuerer Zeit kennen gelernt. Alle auch nur etwas älteren Wiederherstellungen können heute nicht mehr gelten. „Ichthys“ heißt Fisch, und „Saurus“ geht im engsten Sinne auf Eidechse, weiter gefaßt aber umgreift es alle Reptilien und in noch wieder etwas spezialisierterem Brauch wird es vom heutigen Forscher vor allem auf die charakteristischen vorweltlichen Reptilformen angewandt, die meist gerade mit unseren lebenden Eidechsen herzlich wenig zu tun hatten. Ichthyosaurus ist also ein „Fischsaurier“, womit seine Wassernatur gegeben ist; wir werden ihn da suchen, wo heute Krokodil, Wasserschildkröte und die kleinen Wassergiftschlangen der Tropenmeere sich herumtreiben. In Betracht kommt lediglich der Ozean, nicht das Süßwasser, und zwar in diesem Ozean noch wieder die freie See und nicht die Küste. Das Reptil war ursprünglich eine Landschöpfung. Noch im Laufe der mittleren geologischen Epochen gingen aber zahlreiche seiner Vertreter doch wieder ins salzige Element zurück, angelockt jedenfalls durch dessen reiche Jagdgründe, wo es von leicht zu greifendem Futterwild wimmelte. Zu diesen Rückwanderern hat zweifellos schon früh auch der Ichthyosaurus als der vielleicht allerenergischste gehört, wenn wir auch seine spezielleren landbewohnenden Ahnen, von denen er abzweigte, bis heute nicht nachweisen können. Wassertier geworden, erhielt er dann allmählich auch eine entsprechend äußere Anpassungsgestalt. Merkwürdigerweise nahm er fast zum Verwechseln gerade eine solche Gestalt dabei vorweg, wie sie uns heute noch bei einem ganz anderen Tiervolk vor Augeb steht, das erst mehrere geologische Epochen später die Rückanpassung vom Land ins Meer durchgemacht hat, nämlich die Gestalt des uns allen heute geläufigen Seesäugetieres Delphin. Mit fast verschwindendem Halse dicht an den gebuckelten Nacken geschoben ein ungeheurer Kopf mit furchtbarem Gebiss, die Gliedmaßen alle vier (der Delphin hat freilich nur noch die vorderen ausgebildet) in treffliche Ruderpaddel verwandelt, die fast ohne Stiel am fischhaft lang gestreckten Körper sitzen, die Haut ohne Panzer und vermutlich oben delphinhaft schwarz wie lackiert glänzend, auf dem Rücken eine steile dreieckige Hautflosse, der Schwanz ebenfalls zu einem prächtigen Flossenapparat als Steuer und Abstoßewerkzeug entwickelt: so muß der schwimmende Ichthyosaurus keinem Tier der ganzen Schöpfung ähnlicher gewesen sein, als eben unseren delphinischen zahntragenden Walen. Die Größe, die von 1 m bis 10 m stieg, entsprach ebenfalls. So kolossal wie unser Grönlandswal, der sich aber auch schon wieder stark vom echten Delphin fortentwickelt hat, ist niemals ein Ichthyosaurus geworden. Geht man ins Einzelne, so zeigen sich freilich auch die Unterschiede, die notwendig ja daraus entspringen mußten, daß in diesem Falle die Umformung fürs Wasser eben doch nicht von einem Säugetier, sondern einenm noch recht urtümlichen Reptil ausgegangen war. Für die Zähne, deren Zahl bis auf 200 steigen konnte, ist charakteristisch, daß sie nicht einzeln in Zahnhöhlen, sondern alle in einer gemeinsamen Rinne saßen. Um das Auge schloß sich ein beweglicher Knochenring, der allerlei praktische Einstellungen zur Erweiterung und Verengung der Pupille ermöglichte. Die Wirbel erinnern noch an die der Haifische, also der uralten vermutlichen Stammgruppe aller Reptile. Den Bauch schützte auch hier ein Korsett grätenartiger Knochenstäbe (Bauchrippen). Der wahre Bau der gewaltigen Schwanzflosee blieb so lange dunkel, bis man in neuerer Zeit einzelne Exemplare im schwäbischen Jura fand, die außer dem Skelett auch noch den schattenhaften Umriß der Fleischteile erhalten zeigten. Da lernte man denn nicht nur die delphinhafte Rückenflosse kennen, sondern gewahrte auch, daß die Schwanzflosse (die im Gegensatz zu den Delphinen senkrecht stand) zwei Zipfel besaß, deren oberer reines Fleisch und Hautsegel war, während (umgekehrt wie bei den Haifischen) in den unteren die solide Schwanzspitze der Wirbelsäule eintrat. Die Ichthyosaurier jagten Fische und Tintenfische und belebten die hohe See (z. B. im schwäbischen Meer der Juraperiode) wohl in gewaltigen Scharen wie heute die Delphine. Um die Wende der Kreideperiode zur Tertiärperiode, also gerade da etwa, wo die wirklichen Delphine aufkamen, sind sie vollkommen von der Erde verschwunden, nachdem ihre letzten Vertreter zum Teil einen ähnlichen Weg gegangen waren, wie unser Grönlandwal, nämlich die Zähne fast abgeschafft hatten.
W. Bölsche.
Wikipedia-Eintrag 👉️ Tafel 17